Ich bin als hochsensibles Kind mit einer ostsozialisierten Mutter und einem westsozialisierten Vater in Wuppertal aufgewachsen. In den 1960er Jahren gab es das Wort hochsensibel noch nicht und auch keine Definition oder Literatur darüber. Überhaupt nichts. So war ich die "Memme" oder einfach zu empfindlich, zu ernst, zu anstrengend, eine Dauerüberforderung für meine Mutter.
Meine Eltern waren Kriegskinder, sicher keine einfache Zeit, in der es hauptsächlich ums Überleben ging und nicht darum, wie sich jemand fühlte. Besser war, wenig oder nichts zu fühlen. Besser war, über bestimmte Dinge nicht zu sprechen. Und dann, in den späten 50ern und in den folgenden Jahrzehnten war es am allerbesten, so zu sein wie die anderen, das zu haben, was die anderen hatten, nicht aufzufallen. Orientierung kam stets von außen, Kontrolle kam von außen und in unserer Wohnung herrschte eine äußerliche Ordnung und zwanghafte Reinlichkeit. Das Kriegstrauma saß meinen Eltern tief in den Knochen und sie gaben ihr Bestes. In ihren Jobs - mein Vater als Koch und später als Chefkoch, meine Mutter als Serviererin und später in diversen - heute würde man wahrscheinlich sagen - prekären Jobs, als Manglerin, als Kassiererin in einer Autowaschstraße oder im Parkhaus.
Sie gaben auch ihr Bestes für ihre Tochter, für mich.
Die Unterschiedlichkeit meiner Eltern, ihre sehr unterschiedlichen Temperamente, ihr Blick auf die Welt und ihr Sein darin hat in mir zu einem Rechts und einem Links geführt. In mir gibt es die rechte väterliche Seite, die sich lebendig, hell, kreativ, neugierig, bunt und kraftvoll anfühlt. Und es gibt die linke, mütterliche Seite, die sich dunkel, fest, hart, kalt und verloren anfühlt. Es war und ist nicht einfach für mich, diese beiden Seiten in mir zusammenzubringen und vor allem, die linke Seite anzunehmen; Licht in diese Dunkelheit dort zu bringen, Wärme in die Kälte, Weichheit und Geschmeidigkeit in das Harte und Feste und der Verlorenheit ein sicheres Plätzchen anzubieten.
Und natürlich gibt es da auch noch die jungen Anteile in mir, diese schon seit jeher ungeliebten inneren Kinder, die meine Aufmerksamkeit fordern und das Leben, das mir immer wieder Gelegenheiten in die Hände spielt, sie wirklich zu Wort kommen zu lassen, zu fühlen, zu beweinen, ihnen in ihrem Schmerz und ihrer Verzweiflung recht zu geben: "Ja, du warst/bist richtig mit deiner Wut, mit deiner Traurigkeit, mit deinem Schmerz darüber, nicht gesehen worden zu sein!"
Es tut einfach verdammt weh, wenn unser angeborenes Recht auf ein liebevolles und behütetes Wachsen und Werden nicht erfüllt wird. Wenn wir schon ganz früh lernen, Dinge in uns verleugnen, abtrennen oder verschließen zu müssen, die zu unserem Wesen gehören. Wenn wir uns selbst halten müssen. Wie viele von uns laufen herum mit diesem noch unerlösten Schmerz - dem eigenen und dem der Eltern, Großeltern, Urgroßeltern ...?
Seit meiner Jugend bin ich auf der Suche nach Antworten, Lösungen, Erlösung, nach Erklärungen, die dem Leid und dem Schmerz einen Sinn geben. Nach einem WARUM? Da gibt es in mir eine unverwüstliche Sehnsucht nach "einem besseren Leben, das mein Herz schon lange, lange kennt." Und eine ungebrochene Kraft, die diesem Leben immer wieder entgegenhüpft. Wie wunderbar die Vorstellung, Teil eines solchen Lebens zu sein. In der Liebe, statt in der Angst, in der Fülle, statt im Mangel, im Frieden statt im Kampf. Das ist mein Weg, mein lebenslanger Transformationsweg.
Und ich bin dankbar für die Erkenntnis, dass es vielmehr um das WIE und viel weniger um das WAS geht. Es ist nicht so wichtig, was mir geschieht, sondern wie ich damit umgehe, wie ich damit sein und das Leben beantworten kann.
Meine Mutter, meine Oma, mein Vater und ich
im Kinderwagen, 1965
Im Laufe meines Lebens ist mir klargeworden, dass das größte Potential für Veränderung darin liegt, nach innen zu schauen und zwar genau auf das was gerade da ist und wie es sich anfühlt. Wenn wir bereit und offen dafür sind, wirklich mit dem zu sein, was da in uns auftaucht, ohne gleich etwas machen, lösen oder es weghaben zu wollen, passiert Veränderung wie von selbst und geht über das hinaus, was wir uns vorher vorstellen konnten.
In meiner Prozessbegleitung ist es mir immer wieder wichtig anzuerkennen, dass das Gelingen eines solchen Prozesses nicht allein von uns abhängt. Wir können ungeduldig sein und es wird uns nichts nützen. Wir können forcieren und uns Druck machen und es wird uns nichts nützen. Wir können (wieder) drüber hinweg gehen und es wird uns nichts nützen. Wir bestimmen nicht allein, wann es "dran ist", sich bestimmte Dinge anzuschauen und es braucht unser Vertrauen, wirkliches Vertrauen, das zutiefst zu akzeptieren und auch damit zu sein. Liebevoll zu sein. Es ist heilsam, sich das einmal wirklich einzugestehen: dass wir nicht alles machen können. Wir unterstehen alle einer höheren Ordnung, auch wenn wir sie vielleicht nicht fühlen oder wahrhaben wollen.
Es scheint ein universelles Gesetzt zu sein, dass unser Transformationsprozess sich nicht nur in unserem eigenen gegenwärtigen Leben spiegelt, sondern sich darüber hinaus ins Kollektiv und bis in unsere Ahnenlinien hinein fortsetzt. Und natürlich hat das wiederum Auswirkungen auf Zukünftiges. Alles ist mit allem verbunden! Wenn wir also etwas in uns (er)lösen, wandeln, transformieren, machen wir das niemals nur allein für uns!
Es stärkt und befreit die Lebenskraft rückwirkend, nachhaltig und zukünftig.
Und das hat etwas Magisches!
Diese Gewissheit begeistert mich und ist ein wesentlicher Grund für meine Entscheidung,
andere Menschen in ihren Prozessen zu begleiten.
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